Opa Kevin

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Als Opa Kevin am Morgen seine erste Tüte rauchte, kam sein fünfjähriges Enkelkind, der kleine Gottlieb, in die Küche gestürmt. Wie sieht es denn hier aus, Opa Kevin, schimpfte er. Opa Kevin zucke mit den Schultern und zog die Kopfhörer seines mp3-Players über den Kopf. Opa Kevin, ich rede mit dir! Gottlieb war ärgerlich. Was hast du denn da unter dem Tisch versteckt? Nein, das gibts doch nicht! Gib das sofort her!
Das ist meins, sagte Opa Kevin und hielt den Joint hinter seinen Rücken.
So geht das nicht mit dir weiter, Opa Kevin. Du räumst dein Zimmer nicht auf, schleppst mitten in der Nacht irgendwelche Mädchen hier rein, und jetzt nimmst du Drogen? Wir sollten dich vielleicht in ein Heim schicken!
Opa Kevin sagte: Das könnt ihr ruhig machen. Von da hau ich sowieso wieder ab.
Der kleine Gottlieb schüttelte den Kopf. Was soll nur aus dir werden, Opa Kevin. Räum wenigstens diese Tittenmagazine vom Tisch, bevor der Pfarrer kommt.
Widerwillig raffte Opa Kevin die zerlesenen Hochglanzmagazine zusammen und stopfte sie in seine Schreibtischschublade.
Da klingelte es schon. Der Enkel warf Opa Kevin noch einen vorwurfsvollen Blick zu und ging dann, um den Pfarrer reinzulassen. Der Pfarrer kam in Opa Kevins Zimmer und packte das Werkzeug aus, das er in einem hübschen schwarzen Aktenkoffer mitgebracht hatte. Gottlieb hatte ihn engagiert, damit er ein Guckloch in die Wand zwischen dem Zimmer des Kindes und dem des Opas bräche. Also, benimm dich, mahnte Gottlieb und verließ den Raum. Sobald er weg war, ließ der Pfarrer sein Werkzeug fallen und sprach: Opa Kevin! Wo hast du denn die Tittenhefte? Opa Kevin wies mit dem Kopf auf die Schreibtischschublade, der Pfarrer stürzte hin und holte sich gierig ein paar raus. Dann schloss er sich auf dem Klo ein.
Opa Kevin beschloss, etwas an die frische Luft zu gehen. Ihm war so schummrig im Kopf. Aber als er leise die Treppe herunterschlich, rief ihm Gottlieb zu: Was soll das denn schon wieder, Opa Kevin? Willst einfach raus, ohne den Abwasch zu machen? Hiergeblieben!
Seufzend drehte sich Opa Kevin um und ging in die Küche. In der Spüle war ein Haufen von schimmligen Tellern, gemischt mit Garnelenköpfen von dem Essen gestern Abend mit Gottliebs Praktikumsleiter. Opa Kevin steckte die Garnelenköpfe in die Taschen seiner Cargo Pants. Die stinkenden Teller versteckte er im Spülkasten des unteren Klos. Wortlos verließ Opa Kevin das Haus.

Ein paar Straßen weiter wohnte Opa Kollerbach. Opa Kollerbach war der beste Freund von Opa Kevin. Außerdem war Opa Kevin noch in die große Schwester von Opa Kollerbach verknallt: Luise. Er war heute besonders scharf. Unter dem Fenster von Opa Kollerbachs Zimmer pfiff Opa Kevin auf zwei Fingern. Opa Kollerbach steckte seinen kahlen Kopf aus dem Fenster und sagte: ich kann jetzt nicht raus. Norbert sagt, ich soll erst die Kohlen hochbringen.
Kann ich so lange bei dir warten, fragte Opa Kevin.
Klar, komm hoch.
Opa Kevin ging in das Mietshaus und die Treppe rauf. Auf den obersten Stufen war Opa Kollerbachs Enkel Norbert gerade am Bohnern. Er war zwei Jahre jünger als Gottlieb. Die Luft war dick vom Bohnerwachs und dem Geruch verkochter Kartoffeln.
Willst du zu Opa Kollerbach, fragte Norbert. Ja. Dann setz dich so lange ins Wohnzimmer, Opa Kevin.
Das Wohnzimmer war unter dem Dach. Über dem Sofa hing an der Schräge ein lackierter toter Fisch an einem Brett. Als Opa Kevin sich auf das Kordsofa fallen ließ, knirschten die Garnelenköpfe in seiner Hose. In einem Radio in der Küche lief irgendein Mittelwellesender mit Marschmusik. Opa Kevin begann sich eine Kippe zu drehen, als Luise Kollerbach, die fünfundachtzigjährige Schwester von Opa Kollerbach, in die Opa Kevin verschossen war, die Stube betrat. Hi, grüßte sie. Darf ich mich neben dich setzen?
Klar, sagte Opa Kevin scheinbar gleichgültig, aber er war innerlich ziemlich aufgeregt. Luise Kollerbach schlurfte zum Sofa und setzte sich schüchtern neben Opa Kevin. Opa Kevin schwitzte.
Opa Kollerbach hat mir gesagt, dass ich dir gefalle, fing Luise Kollerbach an.
Opa Kevin druckste herum. Sollte er ja sagen?
Nun, es ist so, fuhr Luise Kollerbach fort, du gefällst mir auch ziemlich gut, Opa Kevin.
Ehrlich?
Und da war es schon passiert. Luise Kollerbach drückte ihren gebisslosen Mund auf den von Opa Kevin. Der konnte nichts machen als reagieren. Ihre Hand kroch in Opa Kevins Schoß.
Da betrat Norbert das Zimmer und war fassungslos.
Ja, spinn ich denn? Seid ihr noch bei Trost?!
Erschrocken fuhren die beiden auseinander, und Luise Kollerbach stand schuldbewusst auf. Norbert kam zu ihr hin und fasste sie am Ohr. Da er sehr klein war, musste er dazu nach oben greifen.
Du hast Hausarrest, junge Dame! Ab auf dein Zimmer!
Luise Kollerbach schlurfte heulend raus.
Und du, wandte sich Norbert an Opa Kevin, gehst jetzt besser auch.

Opa Kevin stand auf und verließ die Wohnung. Er wartete vor dem Mietshaus und scharrte mit den Füßen auf dem Boden herum. Endlich kam Opa Kollerbach runter. Wortlos setzten sie sich in Bewegung, Richtung Stadtpark.
Was ist denn passiert, fragte Opa Kollerbach, und Opa Kevin erzählte es ihm.
Als sie am See des Stadtparks angekommen waren, nahm Opa Kevin Garnelenköpfe aus seiner Tasche und versuchte, damit die Brüllenten zu treffen.
Ich glaub, ich hau ab, sagte er zu Opa Kollerbach. Gottlieb geht mir zur Zeit so auf den Sack.
Wohin denn, fragte Opa Kollerbach.
Opa Kevin hatte Glück; er traf eine Brüllente, sodass sie umkippte und wie ein Kanu mit dem Bauch nach oben weiterschwamm.
Vermutlich werde ich nach Bolivien und mich dort den Rebellen anschließen.
Oioi, wenn das mal gutgeht, sagte Opa Kollerbach. Er dachte, Opa Kevin meine es nicht ernst.
Hm, machte Opa Kevin. Nach einer halben Stunde trennten sie sich. Opa Kevin ging doch noch einmal zu sich nach Hause, wo es sicher Anschiss geben würde wegen den Tellern im Spülkasten. Die Sonne schabte über den Horizont, als sich Opa Kevin eine Selbstgedrehte anzündete. Gottlieb wird auch mal erwachsen, dachte er. Und dann bin ich endlich mein eigener Herr.

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