Melchior ist so ein Depp. Wir haben unser Lager auf den Ebenen nahe Jerusalem aufgeschlagen, das Feuer ist wie wir fast am Einschlafen, da schreit der plötzlich auf und springt hoch. „Er ist gekommen!“, schreit er. „Endlich! Da haben wir ihn!“
„Wer ist wo?“, fragt Caspar noch, aber Melchior wühlt schon in seinen Schriftstücken, fördert eines zutage und entrollt es hastig. Eine Weile pendelt sein manischer Blick zwischen den halbverblassten geometrischen Formen auf dem Papyrus und dem Nachthimmel hin und her. „Was ist denn nun?“, fragt Caspar.
„Seht ihr ihn denn nicht?“ Ekstatisch zeigt Melchior nach oben. „Der Stern!“
„Ach, der Stern“, sagt Caspar. „Meinst du wirklich?“
„Was denn für ein Stern?“, frage ich.
„Ich weiß nicht, warum du dich Sterndeuter nennst, Mann“, sagt Melchior über die Schulter. „Du warst wohl an dem Tag gerade nicht da, als sie den durchgenommen haben.“
Ich seufze. „Also, erstens nenne ich mich überhaupt nicht Sterndeuter. Und zweitens halte ich von solchen Hokuspokus überhaupt…“
„Hokuspokus?“, schreit Melchior und lässt sein Papyrus fallen. „Wenn du das nicht sofort zurücknimmst, prügle ich dich zurück nach Iskenderun!“
„Bitte, meine Herren“, sagt Caspar. „Fangen wir doch nicht schon wieder mit so etwas an.“
„Was heißt da ‚wir‘?“, brüllt Melchior. „Der hat doch angefangen!“
Caspar packt Melchior am Oberarm und blickt ihn intensiv an. „Melchior“, sagt er, ohne seine Stimme zu erheben. „Wir hatten das doch besprochen.“
„Ich kann einfach nicht mit jemandem zusammenarbeiten, der nicht respektiert, was ich mache“, nölt Melchior.
„Das hat er doch gar nicht gesagt, Melchi.“
„Habe ich doch!“, schreie ich. Auf die Prügelei mit dem besserwisserischen Melchior hatte ich mich schon seit unserer Abreise gefreut.
Caspar sieht mich sehr streng an. „Aber er hat es nicht so gemeint. Stimmt doch, oder, Balthasar?“
Was soll ich sagen? Caspar ist nun mal eine Autoritätsperson. „Nja…“
„Siehst du, Melchi.“ Caspar rüttelt Melchior freundschaftlich. Der schnieft.
„Geht’s wieder?“, fragt Caspar.
„Muss ja.“
„Also, was war das jetzt mit der Entdeckung?“
Melchior sieht mich feindselig an und sagt: „Wir könnten damit Geld machen. Viel Geld.“
„Du meinst jetzt aber nicht, dass wir…“ Caspar krault seinen Bart.
„Doch, genau das meine ich. Die Schriften lassen keine Missverständnisse zu.“ Melchior hebt seine Schriftrolle auf und hält sie Caspar hin. „Der König der Juden wird geboren. Siehst du? Die Prophezeiungen sind eindeutig!“
„M-hm…“, macht Caspar.
„Ich unterbreche euch nur ungern“, sage ich, „aber würde mich mal einer einweihen?“
„Melchior möchte, dass wir zum König gehen“, sagt Caspar und Melchior nickt.
„Zu Herodes?“
„Er will, dass wir die ersten sind, die ihn zum Nachwuchs beglückwünschen und hofft, dass wir für unsere prophetischen Gaben ein paar, äh, monetäre bekommen. Stimmt doch, Melchi!“
„Stimmt“, sagt Melchior. „Überlegt doch mal: Wir wissen, dass ein Prinz geboren wird, und zwar wahrscheinlich noch vor dem König selbst! Wäre doch gelacht, wenn für uns da nicht der eine oder andere Schekel rausspringt.“ Er grinst.
Ich räuspere mich umständlich. „Ich traue mich fast gar nicht, es zu sagen, aber… könnte es nicht eventuell sein, dass die Prophezeiung nicht, äh… nicht so ganz richtig…“
Mit einem Schlag ist das Grinsen von Melchiors Gesicht verschwunden. Er wendet sich ruckartig um und marschiert ohne ein weiteres Wort in die Wildnis hinaus.
Caspar sieht mich vorwurfsvoll an. „Jetzt hast du’s geschafft, Balthasar.“
„Was denn?“, sage ich. „Die Sache stinkt doch noch mehr als Melchiors blödes Räucherwerk!“
„Melchi!“, ruft Caspar dem Eingeschnappten hinterher, der schon fast in der Dunkelheit verschwunden ist. „Melchi, jetzt komm doch zurück! Da draußen ist es gefährlich!“ Melchior stapft unbeirrt weiter. „Du musstest ja unbedingt schon wieder anfangen“, sagt Caspar zu mir.
„Was heißt denn da ‚anfangen‘?“, versetze ich. „Ich habe lediglich gefragt, ob…“
„Melchi!“, ruft Caspar. „Wir machen’s! Wir gehen zum König!“
„Was?“, schreie ich.
Melchior bleibt stehen.
Caspar wirft mir einen Blick zu, der so etwas bedeutet wie: „Versau das jetzt bloß nicht wieder!“
„Meinst du das ernst?“, ruft Melchior aus dem Dunkel.
„Ganz ernst, Melchi!“
„Und Balthasar auch?“
„Ja, Balthasar auch.“
„Ich will, dass er es sagt!“
Caspar schaut mich warnend an, und ich seufze. „Ja, ich auch. Jetzt komm schon zurück, Melchior. Gleich morgen früh gehen wir nach Jerusalem.“
Und wenn wir Glück haben, füge ich im Geiste hinzu, kommen wir auch wieder lebendig raus.
„Waff ift demm mum?“, fragt Herodes mit vollem Mund, als wir vor seine samtene Ottomane geführt werden.
„Diese Herren sind drei Weise aus dem Morgenland, Hoheit“, erläutert der Diener, der uns in den Saal begleitet hat. „Sie haben eine besondere Nachricht für Euch.“
„Hoffmtlisch ift fie gut“, sagt Herodes, verschluckt sich an seinem Mundinhalt und würgt das zerkaute Fleisch schließlich nach draußen, wo es auf den polierten Steinboden klatscht. Sofort springt hinter den schweren Vorhängen ein junger Mohr hervor, klaubt den Klumpen mit bloßen Händen auf und zieht sich unter Verbeugungen wieder zurück. Kurz bin ich versucht ihn anzusprechen. „Hi, Bruder“, oder so. Man trifft in diesen Breiten so selten seinesgleichen. Bevor ich aber etwas zu ihm sagen kann, ist der Junge schon wieder verschwunden.
Herodes wischt sich den Mund notdürftig mit seiner Toga ab und sagt: „Nun?“
Melchior, den das Spektakel offenbar etwas aus der Bahn geworfen hat, gewinnt schließlich die Fassung wieder und sagt: „Einen schönen guten Morgen Majestät. Mein Name ist Melchior, dies ist mein Geschäftspartner Caspar und unser Praktikant Balthasar.“
„Volontär“, sage ich. Melchior verdreht die Augen.
„Wir kommen mit einer frohen Botschaft zu Ihnen“, sagt Caspar. „Und eins, zwei, drei!“
Genau wie einstudiert, fangen wir an zu singen: „Wir gratulieren, König Herodes, / zu Ihrem neugebor’nen Sohn. / Er wird bestimmt ein ganz toller König, / ein toller Prinz ist er ja schon!“
Herodes, der sich gerade einen Weinkelch zum Mund führen wollte, hält inne und blickt uns ausdruckslos an. Wir starren zurück.
Nach einer Weile frage ich Melchior: „Ist das jetzt gut oder schlecht?“ Er zuckt mit den Schultern.
Die Wachen werfen einander unbehagliche Blicke zu.
„Wie war das bitte?“, fragt Herodes schließlich mit belegter Stimme.
„Wir haben Majestät gerade zur Geburt Ihres werten Herrn Sohnes gratuliert“, erläutert Caspar. „Sollen wir noch mal singen?“
Herodes stellt den Weinkelch zurück auf den hölzernen Beistelltisch und gestikuliert seinen Diener heran. „Hackt ihnen die Köpfe ab.“
Im nächsten Augenblick werden wir von muskulösen Wachen an den jeweiligen Schlafittchen gepackt.
„Ich habs doch gesagt!“, brülle ich Melchior an, während wir durch den Saal geschleift werden. „Äh, hören Sie, Herr König, äh, Majestät, Sir“, wende ich mich an den Regenten. „Ich, äh, ich gehöre gar nicht zu denen! Ich glaube gar nicht an diesen Hokuspokus! Ich bin nur ein Praktikant, verdammtnochmal!“
„Es ist kein Irrtum!“, schreit Melchior. „Die Prophezeiungen der Alten sagen eindeutig aus, dass der König der Juden geboren wird, wenn dieser Scheiß-Stern…“
„Bitte achte auf deine Sprache, Melchi“, mahnt Caspar. „Schließlich sind-“
„Halt!“, brüllt es da durch den Raum. Der König ist von seiner Ottomane aufgestanden. „Bringt sie zurück zu mir!“
Die Wachen schleifen uns zurück und schmeißen uns vor dem Herrscher auf den Boden.
„Au, pass doch auf, Mensch!“, schreit Melchior. „Mein Gewand!“
„Ruhe!“, brüllt Herodes. „Steht auf!“
Wir rappeln uns hoch und klopfen den Staub aus unserer Kleidung.
Der König schreitet auf uns zu. Dabei machen seine Sandalen schlappende Geräusche auf dem Steinboden. Er bleibt vor Melchior stehen; die Gesichter nur Zentimeter voneinander entfernt. „Du sagst also“, presst er durch die Zähne, „die Nachricht, die euch der Stern vermittelte, ist, der neue König der Juden sei geboren?“
Melchior nickt verschüchtert.
Herodes‘ Augen verengen sich zu Schlitzen. „Und die Prophezeiungen lassen keinen Irrtum zu?“ Als Melchior antworten will, schnellt Herodes‘ wurstdicker Zeigefinger nach oben. „Und überleg dir, was du sagst, Sterndeuter.“
Als Melchior spricht, ist seine Stimme furchtbar wacklig. „Und wenn Ihr mich umbringt, ich werde auch auf dem Schafott noch sagen, der König der Juden ist geboren.“
Herodes nickt langsam und lässt den Zeigefinger sinken. „Das dachte ich mir“, sagt er. „Du weißt aber nicht, wo?“
„Was heißt da ‚wo‘?“, sagt Melchior. „Der König der Juden wurde geboren, da weiß doch jedes Kind, dass-aua!“
Caspar hat ihn grob in die Seite geknufft. Melchior schaut ihn zuerst verärgert an, dann weiten sich auf einmal seine Augen und er sagt: „Ach so! … Oh Gott, natürlich.“
„Tja, Majestät!“ Caspar versucht ein unverfängliches Lachen. „Da haben wir uns ja in eine schön peinliche Situation geritten, was?“ Herodes blickt ihn noch nicht mal an. „Sie müssen auch denken“, fährt Caspar in launischem Tonfall fort, „was sind das denn für Scherzbolde… und wer könnte es Ihnen verübeln!“
„Ruhe!“, kläfft der König. „Wachen, exekutiert sie. Ich muss nachdenken.“ Und wieder werden wir weggeschleift. So langsam bekommen wir Übung im Weggeschleiftwerden.
Keine Ahnung, wie ich auf die Idee gekommen bin, vielleicht ist es sogar Melchiors blöder Stern, der mir die Eingebung geschenkt hat – jedenfalls schreie ich: „Wir können den Ort rausfinden!“
Herodes, der sich uns abgewandt hat, zeigt keine Reaktion.
Kurz bevor die Thronsaaltür hinter uns zufällt, hören wir ein: „Halt!“ Die Wachen verharren bewegungslos. „Bringt sie wieder rein!“
Und zurück geht die Reise, und wieder werden wir mit Schmackes vor der Ottomane auf den Steinboden gepfeffert. Bevor Herodes etwas sagen kann, sage ich: „Wir können an der Position des Sterns ablesen, wo sich der Neugeborene aufhält. Wir können Ihnen die genaue Adresse angeben!“
„So“, sagt Herodes mit undefinierbarem Gesichtsausdruck. „Dann mal los!“
„Wir können es im Moment noch nicht sagen“, erkläre ich. „Wir müssen den Stern zunächst besser studieren.“
„Ich verstehe“, sagt Herodes. Noch immer ist an seiner Miene nicht zu erkennen, was er denkt.
„Allerdings unter einer Bedingung“, sage ich. „Töten Sie uns nicht und lassen Sie uns frei.“
Herodes grunzt belustigt. „Und was hindert euch daran, einfach wegzulaufen, ohne mich zu informieren?“
Caspar stößt einen empörten Laut aus. „Ich muss doch sehr bitten, Majestät! Wir sind Ehrenmänner!“
Auf Herodes‘ Gesicht scheint sich ein winziges Lächeln abzuzeichnen. „Na schön“, sagt er.
„Und wie du sagtest: ‚Also bitte! Wir sind Ehrenmänner!’“ Ich halte mir den Bauch vor Lachen.
„Der war nicht schlecht, oder?“ Mit einem kultivierten Schmunzeln schiebt sich Caspar ein weiteres Stück Fleisch in den Mund. Wir haben auch an diesem Abend unser Lager an derselben Stelle wie gestern aufgeschlagen.
„Und dass er drauf reingefallen ist!“, sage ich. „Und uns sogar noch einen Klumpen Gold gegeben hat! Für die Spesen! Ich meine, das hat dem Fass ja noch die Krone ins Gesicht geschlagen. Fast tut es mir ein bisschen Leid, dass wir ihm seine Auskünfte nicht geben. Ich meine, gestern war das Wertvollste, was wir besaßen, Melchiors blödes Räucherzeug. Was ist das eigentlich genau, Melchi?“ Jetzt nenne ich ihn auch schon Melchi.
„Myrrhe und Weihrauch“, sagt Melchior, der etwas abseits von uns zusammengekauert auf dem Boden sitzt und in den Abendhimmel starrt.
„Nun lass doch das Starren“, sagt Caspar gutmütig. „Denkst du nicht, wir haben-“ Er hält inne, weil Melchior angefangen hat, irgendwas zu murmeln. „Was sagst du, Melchi?“
„Er ist gewandert“, sagt Melchior. „Der Stern ist gewandert!“
„Was meinst du mit ‚gewandert‘?“, fragt Caspar.
„Da, schau doch! Er steht jetzt da drüben!“ Er hievt sich hoch und gestikuliert in Richtung Süden. „Was ist der nächste Ort in der Richtung?“
„Betlehem“, sagt Caspar. „Aber du glaubst doch nicht, dass in diesem Kaff der neue König der Juden..?“
„Ich glaube es nicht, ich weiß es“, sagt Melchior und strahlt uns an.
„Ach, komm, Melchi. Bei aller Liebe…“
„Wie lange geht man zu Fuß bis Betlehem?“, frage ich.
„Nicht lange“, erwidert Caspar, „Jetzt sag nicht, du willst diesem Stern nachlaufen?“ Er lächelt.
„Ich kann heute Nacht sowieso kein Auge zutun“, sage ich. „Ihr etwa?“
„Du meinst, jetzt gleich?“, fragt Melchior beglückt.
„Wann sonst? Wäre doch witzlos, wenn wir erst dann kommen, wenn ihm schon jeder Ochs und Esel seine Aufwartung gemacht hat.“ Ich blicke in die Runde. „Und?“
Caspar seufzt. „Ach, scheiß drauf“, sagt er und grinst.
„Achte auf deine Sprache, mein Freund!“, sagt Melchior.
Ich erhebe mich ächzend. „Na dann, los geht’s! Melchi, pack Weihrauch und Myrrhe ein, Caspar, schnapp dir das Gold – wir müssen einen Neugeborenen besichtigen!“
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